Chatkontrolle verhindern. Bürgerrechte schützen.

07.06.2022

Worum es geht: Chatkontrolle = Bürgerkontrolle: Fernmeldegeheimnis erhalten!

Es war erst die Post, dann der Telegraf und schließlich die E-Mail bzw. der Messenger auf jedem Smartphone. Kommunikationsmittel vernetzen unsere Gesellschaft seit jeher und werden immer wieder Ziel übergriffiger staatlicher Überwachung. Aus diesem Grund ist das Brief- und Fernmeldegeheimnis als Freiheitsrecht in Artikel 10 des Grundgesetzes verankert. Es gewährleistet jedem Bürger die Vertraulichkeit seiner Kommunikation sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt.

Die Europäische Kommission sieht in einem Verordnungsentwurf vor, dass alle digitalen Diensteanbieter dazu verpflichtet sind, den Datenverkehr ihrer Nutzer in Form privater Chats, Nachrichten, E-Mails oder versendeter Medien auf einen Zusammenhang mit dem Missbrauch Minderjähriger verdachtslos, flächendeckend und vollautomatisiert zu durchsuchen.

Das bedeutet: Ihre gesamten E-Mails, Chats, Fotos, Videos und sonstigen Dokumente, die Sie über das Internet versenden, müssen durch die Betreiber gescannt werden, auch wenn es dazu keinen konkreten Anlass, einen Verdacht oder gar eine richterliche Anordnung gibt.

Dieses System der anlasslosen Massenüberwachung stellt nicht nur das Ende der klassischen Ende-zu-Ende-Verschlüsselung dar, es ist auch ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Fernmeldegeheimnis insgesamt, das ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Internet stark beschneidet.

Faktencheck: Was bedeutet die Chatkontrolle für Sie?

Unbekannte Fotos, Videos, Dateien usw. sollen mittels maschineller Verfahren durchsucht und auf verdächtige Inhalte geprüft werden, welche dann der Polizei gemeldet werden sollen.

Mittels künstlicher Intelligenz und selbstlernender Algorithmen sollen die Daten auf anstößige und verdächtige Inhalte durchsucht werden. Wie genau diese Systeme funktionieren sollen oder ausgestaltet werden ist weder der Öffentlichkeit noch der Fachwelt bekannt. Ferner plant die EU keine Offenlegung der Systeme. Problem hierbei ist, dass Experten diese Systeme für unausgereift halten und eine Flut an Falschmeldungen die Folge sein wird. So ist es nicht unwahrscheinlich das harmlose Urlaubsfotos oder völlig unproblematische Bilder ohne Bezug zu Kinderpornografie der Polizei gemeldet werden und es so ggf. zum Beginn von Strafverfahren völlig unbescholtener Bürger kommen kann.

Betroffen von der Chatkontrolle sind unter anderem: Telefonie, E-Mail, Messengerdienste (wie bspw. WhatsApp oder Facebook Messenger), Videokonferenztools (wie bspw. Zoom) oder Chats.

Durchsucht werden dürfen nicht nur Chats, sondern auch Bilder, Videos, Sprachmemos und alle erdenklichen Arten von Dokumenten. Grundsätzlich darf fast jede digitale Kommunikation ohne Vorwarnung oder Kenntnis der Betroffenen in Echtzeit entschlüsselt, mitgelesen und verarbeitet werden.

Private Hostingdienste und Cloudanbieter dürfen durchsucht werden.

Persönliche Speicherorte und nicht-öffentlich-verfügbare, digitale Speichermedien dürfen ebenfalls ständig überwacht werden. Hierzu gehören sämtliche Clouddienste und Online-Speicher.

Die verdachtslose und flächendeckende Durchsuchung persönlicher Kommunikation und gespeicherter Daten darf nur bei Dienstleister eingefordert werden, bei denen wahrscheinlich sexuell ausbeutende Darstellung von Kindern gezeigt werden oder für ihre Aufnahme verwendet werden können.

Aber: Ein Missbrauchspotential Minderjähriger lässt sich für keine Kommunikationsplattform per se ausschließen. Von der Chatkontrolle sind defacto sämtliche Anbieter mit einer Kommunikationsfunktion zwischen den Nutzern umfasst. Die Missbrauchstäter, die sich hingegen über geheime Foren im Darknet austauschen, verbleiben jedoch weiterhin unter dem Radar.

Bei der Kontrolle soll auch auf bereits einschlägig bekannte Fotos, Videos, Dateien geachtet werden. Verdächtige Inhalte werden dann der Polizei gemeldet.

Dieses sogenannte „Hashverfahren“, welches in der Schweiz bereits seit Jahren eingesetzt wird, ist durch seine hohe Fehleranfälligkeit bekannt. Dies führt dazu, dass zahlreiche Unschuldige polizeilichen Ermittlungen ausgesetzt werden.

Dienste, welche für Anbahnungsversuche („Grooming“) von Missbrauchstätern gegenüber Minderjährigen missbraucht werden könnten, müssen das Alter ihrer Nutzerinnen und Nutzer überprüfen. 

Eine Überprüfung des Alters ist nur durch eine vollständige Identifizierung möglich wie bspw. bei der Eröffnung eines Depots oder Kontos bei einer Bank. Damit verbunden ist das Ende der Anonymität im Netz, was für Whistleblower, Beratungsstellen und auch für Anwälte bei der Kommunikation mit ihren Mandantinnen und Mandaten von größter Wichtigkeit ist. Da alle Kommunikationsdienste für „Grooming“ missbraucht werden können gilt diese Identifikationspflicht defacto pauschal.

Zusammenfassung

Die Umsetzung der Verordnung würde das Ende der Anonymität des Internet darstellen. Das vorgebliche Ziel („Bekämpfung der Kinderpornographie“) wird nicht erreicht. Stattdessen wird dem Staat unter dem Vorwand der Verbrechensbekämpfung Tür und Tor geöffnet, auf sensibelste private Daten zuzugreifen.

Die eingesetzten Mittel sind technisch unausgereift, intransparent und nachweislich weder verlässlich noch hilfreich. Es handelt sich hierbei um eine Massenüberwachung digitaler Kommunikation durch die Hintertür. Da auch Ende-zu-Ende verschlüsselte Messenger wie WhatsApp, Threema oder Signal unter diese Kategorie der zu überwachenden Dienstleister gehören, muss der Anbieter eine Hintertür einbauen, um Daten abzufangen und überprüfen zu können. Auch Kriminelle oder fremde Geheimdienste könnten diese Hintertür früher oder später finden und sie ausnutzen. 

Sollten Sie demnächst die Familienfotos des letzten Urlaubs an Freunde oder Familie verschicken oder anzügliche Bilder an ihren Lebenspartner senden, kann es gut sein, dass diese Bilder von vollkommen fremden Menschen gesichtet werden, da der fehleranfällige Algorithmus die Daten falsch einordnet. Sollte diese fremde Person dann die Umstände oder den Kontext missverstehen, kann auch eine Anzeige im Briefkasten liegen. 

Parallel zu dem Vorstoß der Europäischen Kommission zur Chatkontrolle wird die Europäische Polizeibehörde Europol bzw. eine neue, ihr unterstehende Behörde mit zusätzlichen Kompetenzen zur Erfassung und Verarbeitung sensibler Daten ausgestattet. Darüber hinaus wird diese Überwachungsbehörde mit der Entwicklung der genutzten Überwachungssoftware sowie der weiteren technischen Konkretisierung betraut, die den Bürgern zunächst vorenthalten bleibt. Eine derartige Bündelung digitaler Befugnisse und Eingriffsrechte in Form einer „europäischen Datenkrake“ birgt ein enormes Missbrauchspotential.

Hintergrund

Das europäische Parlament verabschiedete am 6. Juli letzten Jahres eine Verordnung zur freiwilligen Chatkontrolle, welche die Anbieter von Mailing-, Messenger- und Chatdiensten anlasslos durchführen können. Noch vor dem Beschluss der Verordnung zur freiwilligen Kontrolle kündigte die EU-Kommission an, dass sie eine weitere Verordnung zur verpflichtenden Chatkontrolle durch die Provider einreichen werde mit dem Ziel, dass Beratungen und Beschluss noch 2022 abgeschlossen werden sollen. Besonders irreführend ist hierbei die Bezeichnung des verabschiedeten Gesetzes. Offiziell heißt der Vorstoß der Kommission „Verordnung gegen Kindesmissbrauch im Netz“. Die automatisierte Durchsuchung jeglicher privaten digitalen Kommunikation mittels allenfalls experimenteller, jedoch wenig ausgereifter Software-Systeme ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die freiheitlichen Grundrechte eines jeden Bürgers, welcher kaum zum gewünschten Ziel beiträgt.

Kindesmissbrauch ist ein grausames Verbrechen, das die Opfer ein Leben lang begleitet. Auch in einem freien Internet müssen Gesetze gelten. Statt diese abscheulichen Verbrechen durch das unverhältnismäßige Aufgeben der Grundrechte aller EU-Bürger zu bekämpfen, sollte mehr in die Ausstattung der Polizei und in die zwischenstaatliche Zusammenarbeit der Behörden investiert werden. Wir Freie Demokraten wollen mehr Prävention und Verfolgung von Kindesmissbrauch. Kinder werden durch mehr Personal für Polizei, Jugendämter und Justiz geschützt, nicht durch anlassloses Ausspionieren.

Besonders in Anbetracht dessen, dass Behörden regelmäßig Server und Speicherplätze von illegalen, kinderpornografischen Inhalten ermitteln, sie allerdings nicht löschen lassen, erscheint der Verordnungsentwurf der Kommission nicht als der richtige Weg für einen zielgerichteten Kampf gegen den sexuellen Missbrauch Minderjähriger.

Folgen einer Chatkontrolle

Stattdessen öffnet der Verordnungsentwurf zur Chatkontrolle Tür und Tor für das anlasslose, flächendeckende Abrufen und Überwachen von Inhalten der digitalen Kommunikation, auch die zwischen Mandaten und ihren Anwälten. Der Deutsche Anwaltverein DAV warnt hierbei nachdrücklich das nebst dem Einschränken des Art. 10 GG auch das Grundrecht der Berufsfreiheit sowie die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit durch die Garantie eines fairen Prozesses verletzt werden. Grund dafür ist auch die schwammige Regelung welche Dienstleister von Gesetzes wegen in die Pflicht genommen werden. 

Die aus Sicht der EU-Kommission infrage kommende Technik hat sich zudem in vorherigen Studien und Anwendungsgebieten als zutiefst unzuverlässig und fehlerbehaftet erwiesen. Derartige Systeme sind in der Schweiz bereits in Benutzung. Laut Auskunft der Schweizer Fedpol lag die Trefferquote 2020 gerade einmal bei etwa 14%. Bei 8000 Meldungen bedeutete dies, dass 6.880 Meldungen, in der Mehrzahl Fotos, falsch eingingen und nach Prüfung durch Firmen sowie Polizei als strafrechtlich nicht relevant eingeordnet wurden. Eine derart hohe Fehlerquote bedeutet, dass tausend Bilder und Nachrichten unbescholtener Bürger durch unbekannte Dritte mitgelesen und bewertet werden. Aus Erfahrungswerten schildern Polizisten und E-Privacy-Bürgerrechtler, dass die beanstandeten Bilder letztlich von Minderjährigen selbst stammen und an andere Minderjährige versandt worden sind, während das Problem der ausbeutenden Kinderpornografie mit diesem Gesetzesentwurf nicht angegangen wird. Eine flächendeckende Kontrolle der gängigen Plattformen würde die Überwachung der pädophilen Straftäter nur erschweren, da sie sich andere, schwerer zu verfolgende Wege suchen, während man marginalisierte Gruppen, Whistleblower und Missbrauchsopfern, welche sich mit Beratungsstellen oder Anwälten beraten, die Möglichkeit der Kommunikation raubt. 

Fazit: Bürgerrechte schützen – Chatkontrolle verhindern

Wir Freie Demokraten sprechen uns dafür aus, den Kampf gegen Kindesmissbrauch signifikant zu verstärken. Wir teilen jedoch die Einschätzung des Deutschen Kinderschutzbundes, dass der Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission ein unverhältnismäßiger Eingriff in die digitale Privatsphäre und des Fernmeldegeheimnisses darstellt. Die Überwachung aller Chats, Nachrichten und E-Mails von unbescholtenen Bürgern ist eine sicherheitspolitische Entgleisung. Jeder Bürger stünde unter ständigem Generalverdacht. Dies wäre ein gefährlicher Präzedenzfall, der den Rechtsstaat in den Grundfesten erschüttern würde.

Digitale Bürgerrechte sind gleichwertig zu analogen Bürgerrechten: das digitale Briefgeheimnis ist demnach genauso zu schützen wie das analoge Briefgeheimnis. Freie Meinungsäußerung könnte eingeschränkt werden, wenn Bürger die ständige Überprüfung ihrer Kommunikation erwarten müssen. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission würden private Unternehmen gezwungen werden, Polizei zu spielen, ihre Kunden auszuspionieren und beim Staat zu melden. Diese Privatisierung der Strafverfolgung lehnen wir ab.

Wie geht es weiter?

Noch ist die Chatkontrolle lediglich ein Verordnungsentwurf der Kommission. Sie ist also noch lange nicht beschlossen und rechtsverbindlich. In nächster Zeit wird der Entwurf vom Europäischen Parlament und dem Ministerrat der Europäischen Union beraten und beide Kammern legen mit einer einfachen Mehrheit ihre Standpunkte fest. Anschließend werden mittels der Standpunkte Änderungsvorschläge für den Verordnungsentwurf beraten, die die befürchtete Form der Überwachung verhindern können. Findet der Entwurf trotz Änderungen keine Mehrheit in beiden Kammern, so wäre die Chatkontrolle gescheitert. Sobald es Neuigkeiten gibt, halte ich Sie auf dem Laufenden.

Es besteht also noch eine Möglichkeit von Politik und Zivilgesellschaft, die geplante Chatkontrolle der Kommission zu verhindern. Klären Sie ihre Freunde, Familienmitglieder und Arbeitskollegen über die Chatkontrolle auf, teilen Sie diesen oder andere Artikel über die sozialen Netzwerke und unterzeichnen Sie eine Petition. Wir Freie Demokraten setzen uns für Sie und ihr Recht auf Privatsphäre ein. Deshalb arbeiten wir daran, die Chatkontrolle zu stoppen.